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«Essen Sie bei uns …»

«Essen Sie bei uns …» – Gedanken nach einem Sonntagsausflug

28. Dezember 2023

Eine Kolumne aus dem Bündner Bauer (2023 Nr. 51/52: S. 17–18) von Werner Hediger, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung Fachhochschule Graubünden

«Essen Sie bei uns, sonst verhungern wir beide!» Mit dieser Aufforderung am Wegesrand lädt ein Wirt Wandernde ein, bei ihm im Berggasthof einzukehren und sich zu verköstigen. Er offeriert nicht nur Essen und Trinken in der Gaststube oder auf der Terrasse, sondern bietet in gewissem Sinn auch Versorgungssicherheit auf dem Berg. Dies tut er jedoch kaum aus reinem Wohlwollen, sondern aus wirtschaftlichem Eigeninteresse. Er will etwas verdienen und seinen Lebensunterhalt bestreiten. Dabei muss sich der Gastwirt aber auch verschiedenen Realitäten stellen. Um den Gästen aus dem Tal eine ansprechende Speisekarte präsentieren zu können, kann er sich nicht auf Nahrungsmittel beschränken, die vom Alpbetrieb nebenan produziert werden. Er muss sich den Marktkräften stellen, Handel betreiben und Güter aus dem Tal «importieren». Dies braucht er mengenmässig, um die Verpflegung seiner zahlenden Gäste, den «Touristen», sicherzustellen. Die besondere Lage erlaubt dem Wirt aber auch, seine Monopolsituation auf dem Berg zu nutzen und einen höheren Preis für Mahlzeiten zu verlangen als seine Konkurrenten im Tal. Dies erscheint legitim, ist er doch mit höheren Transportkosten konfrontiert und seine Gaststätte bietet auch noch eine schöne Aussicht. Aber der Wirt darf seine Kalkulation nicht ohne die Gäste machen. Setzt er die Preise zu hoch an, dann riskiert er, dass die Gäste nicht bei ihm einkehren, sondern ihre Verpflegung im Rucksack mitnehmen und sich trotz des geringeren Komforts irgendwo am Wegesrand ausruhen und essen. Auch wenn also die Nahrungsmittel, die der Gastwirt anbietet, mehrheitlich nicht vom nahe liegenden Alpbetrieb stammen, sondern aus dem Tal hochtransportiert werden, sieht er sich, genauso wie der Detailhandel im Tal mit einer neuen Realität konfrontiert: Für die Konsumentinnen und Konsumenten wird die Herkunft, insbesondere die Regionalität und die Swissness der Produkte, immer wichtiger. Qualitativ hochstehende, gesunde Nahrungsmittel aus der Region sind gefragt. Dafür sind die Leute auch bereit, einen höheren Preis zu bezahlen. Für den Gastwirt bedeutet dies, dass er regionale Produkte auf seiner Speisekarte haben muss. Nur so dürften seine Gäste auch in Zukunft die höheren Preise im Berggasthof akzeptieren und wiederkommen. Insgesamt scheint der Gastwirt gut beraten, eine Strategie zu verfolgen, die sowohl auf regionale als auch importierte Produkte setzt. Sie sollte sich nicht vom Markt abschotten, sondern sich den Marktkräften stellen, denn diese wirken auch auf dem Berg. Ähnliches gilt es bezüglich der Versorgungssicherheit auf nationaler Ebene zu berücksichtigen. Auch wenn diese von vielen als eine Staatsaufgabe angesehen wird, gilt es, die Kräfte des Marktes zu berücksichtigen. Dies schliesst sowohl die Eigenverantwortung der beteiligten Akteure als auch deren angemessene Entlohnung mit ein. Am Ende geht es um die Sicherstellung funktionierender Wertschöpfungsketten, von der Landwirtschaft über Verarbeitung und Handel – inklusive Gastronomie und Hotellerie – bis hin zu den Konsumentinnen und Konsumenten, und Gästen. Solange letztere bereit sind, einen höheren Preis für etwas Besonderes und Regionales zu bezahlen, solange sollten auch die Wertschöpfung anständig verteilt und die Versorgung sichergestellt werden können. Vielleicht hilft der Slogan des Berggastwirts, wenn wir ihn leicht anpassen: «Essen Sie bei uns, sonst verhungern wir alle!»<o:p></o:p>

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